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15.03.2022

Freiwillige Leistung wird bestraft

Europa feiert das Jahr des Ehrenamts – und in Deutschland bleiben Frührentner auf den Kosten für ihr Engagement sitzen.

Ehrenamtliches Engagement macht unsere Gesellschaft menschlicher.“ Mit diesen geschmeidigen Worten wird SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zurzeit in einem Werbespot zitiert. Die Politik müsse „Sorge tragen, dass diejenigen, die ehrenamtlich tätig sind, sich in unserer Gesellschaft unterstützt fühlen“, appelliert Bundeskanzlerin Angela Merkel. Große Worte der deutschen Politik zu Beginn des „Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit“.

Quelle: Shutterstock

In der ganzen EU werden bis Dezember jene Menschen geehrt, die ihre Freizeit opfern, um andere zu unterstützen. Von Kirkenes hoch oben in Norwegen bis hinunter zum kleinen Mittelmeerinselstaat Malta gibt es für sie Festbankette, Danksagungen und Feiern. Nur in Deutschland startet das Jahr des Ehrenamts mit einem fahlen Beigeschmack.

Mit dem Jahressteuergesetz 2011 hat Ursula von der Leyens Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine neue Regelung geschaffen, die ehrenamtlich tätige Frührentner um bis zu ein Drittel ihrer Rente bringen kann – wenn sie sich zu sehr engagieren und dafür eine hohe Aufwandsentschädigung erhalten. Hartz-IV-Empfängern wird wiederum der Freibetrag für Ehrenamts-Honorare gekürzt. Von 175 Euro Einnahmen, die für Normalbürger steuerfrei bleiben, dürfen Langzeitarbeitslose künftig nur 115 Euro behalten. Wer sich freiwillig engagiert, wird sich wie vom Staat bestraft fühlen.

Rund 23 Millionen Menschen sind in Deutschland ehrenamtlich in Vereinen, Verbänden, Initiativen oder Kirchen tätig, hat die Enquetekommission des Bundestags zum bürgerschaftlichen Engagement ermittelt. Mehr als sechs Millionen von ihnen sind Frührentner. Sie betreuen Kinder und Jugendliche in Sportvereinen und über Hausaufgabenhilfen. Sie pflegen Alte, Behinderte und Kranke in deren Wohnungen, Heimen oder Hospizen. Sie retten als Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren Menschen in höchster Not. Sie trösten Anrufer bei der Telefonseelsorge, renaturieren Bäche bei Naturschutzprojekten, betreuen Kriminalitätsopfer. Empfänger des Arbeitslosengelds II sind ebenfalls häufig aktiv, etwa als ehrenamtliche Bürgermeister im Osten Deutschlands.

Es sind Tätigkeiten, die nicht nur Zeit, sondern auch Geld verschlingen – allein, um überhaupt zu den Stätten des hilfreichen Wirkens gelangen zu können. „Ehrenamtliche, die Alte und Behinderte betreuen, müssen deren Heime und Wohnungen erreichen. Übungsleiter in Sportvereinen fahren junge Athleten oftmals in ihrem eigenen Auto zu Auswärtswettkämpfen“, gibt Thomas Grambow, Vizevorsitzender der Ortsgruppe Neu Wulmstorf im Sozialverband Deutschland, einen Einblick in die Arbeit der Ehrenamtlichen in seiner Gemeinde. Sein Fazit: „Neben der Freizeit kostet ehrenamtliche Arbeit auch viel Geld.“

Damit die Helfer die Auslagen nicht aus eigener Tasche tragen müssen, erhalten sie von Vereinen und Sozialverbänden eine Aufwandsentschädigung. Bis zu 441,66 Euro pro Monat sind dabei steuerfrei. Bei Übungsleitern sind es sogar 575 Euro pro Monat. Was über diese Freibeträge hinausgeht, muss mit dem Fiskus verrechnet werden.

Für Frührentner hat es dabei mit Beginn dieses Jahres eine Änderung gegeben. Erhalten sie eine Aufwandsentschädigung, die auch nur um einen Cent ihre Freibeträge überschreitet, müssen sie diesen Betrag nicht nur wie alle anderen ehrenamtlichen Helfer versteuern – ihnen wird obendrein von den Rentenversicherungsträgern automatisch die Frührente um ein Drittel gekürzt. Für Verbände und Vereine ist die Regelung ein Unding: „Die Signalwirkung ist negativ und demotivierend“, rügt Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), des Dachverbandes aller Sportvereine. „Das Ehrenamt sollte gerade in diesem Jahr gefördert und nicht benachteiligt werden“, sekundiert Hans Hachinger, Vorstand des Vereins Deutsches Ehrenamt.

Anlass der Gesetzesänderung sind zwei Urteile des Bundessozialgerichts (Az.: B 12 KR 76 / 05 B, B 12 KR 12 / 05 R). Darin hatte das oberste Richtergremium für Sozialrechtsfragen entschieden, dass die Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Kommunalpolitiker als Arbeitseinkommen zu versteuern und bei Frührentnern gegen die Rentenbezüge anzurechnen sind. Das Gericht in Kassel reagierte damit auf die Tatsache, dass Feierabendpolitiker in zahlreichen Kreistagen, Dorf- und Kleinstadtparlamenten Aufwandsentschädigungen erhalten, die weit über den Freibeträgen liegen. Die Höhe dieser Entgelte wird von den Gemeinde-, Kreis- und Stadträten selbst festgelegt. Bezüge oberhalb der steuerfreien Einkommensgrenzen mussten bis dahin zwar mit dem Fiskus abgerechnet werden, nicht aber mit den Rentenversicherungsträgern. Als Folge konnten in der Kommunalpolitik aktive Frührentner ihre Einkommen gegenüber den Rentenbezügen zum Teil mehr als verdoppeln.

Mit dem Jahressteuergesetz 2011 hat das Sozialministerium diese Urteile auf alle ehrenamtlich aktiven Frührentner ausgeweitet. „Das bedeutet, dass Einkünfte aus einer ehrenamtlichen Beschäftigung oder Tätigkeit ausnahmslos in Höhe der steuerpflichtigen Anteile als Hinzuverdienst zu berücksichtigen sind“, heißt es in einem der „Welt am Sonntag“ vorliegenden Schreiben der Knappschafts-Krankenversicherung an die Versichertenältesten, die ehrenamtlichen Vertrauensleute der Versicherten.

Die Regelung hat beträchtliche Konsequenzen für die Betroffenen: „Sobald ein ehrenamtlich tätiger Frührentner eine Aufwandsentschädigung erhält, die oberhalb der Freibeträge liegt, verliert er ein Drittel seiner Frührente“, erläutert Sozialverbands-Experte Grambow. Denn nach dem Rentengesetz wird die Frührente automatisch um mindestens diesen Betrag gekürzt, wenn ein Hinzuverdienst oberhalb der Freibetragsgrenze erfolgt. Die Folgen macht Grambow an einer Beispielrechnung deutlich: Ein ehrenamtlicher Helfer erhält eine Frührente von 1500 Euro. Übersteigt die Aufwandsentschädigung den Freibetrag von 441,66 Euro um einen Cent, wird seine Frührente in jenem Monat auf 1000 Euro gekürzt. „Statt der Frührente von 1500 Euro verbleiben dem freiwilligen Helfer dann noch 1441,67 Euro“, rechnet Grambow vor (siehe Tabelle). Kaum besser sieht es bei einem Übungsleiter mit ebenso hoher Frührente aus. Bei ihm beträgt der Freibetrag 575 Euro pro Monat. Übersteigt die Aufwandsentschädigung diesen um einen Cent, wird auch seine Frührente auf 1000 Euro gekürzt.

Die neue gesetzliche Regelung „könnte dazu führen, dass das Engagement ehrenamtlich tätiger Frührentner in den Vereinen deutlich zurückgeht“, fürchtet Sportbund-Chef Vesper. „Deshalb werden wir Ministerin von der Leyen bitten, sich dafür einzusetzen, dass das Einkommen aus der Übungsleiterpauschale weiterhin anrechnungsfrei bleibt.“

Für ehrenamtliche Frührentner, deren Aufwandsentschädigung vor allem dazu dient, die Kosten für Fahrten mit dem eigenen Auto abzudecken, gibt es theoretisch ein Schlupfloch. Sie könnten das Geld als Fahrtkostenauslage erhalten. Dann würde der Betrag nicht als Zuverdienst gelten und könnte daher nicht gegen die Rente angerechnet werden. „Das würde allerdings einen erheblichen bürokratischen Aufwand für die Buchhaltung in den Vereinen und Verbänden bedeuten“, sagt Sozialverbandsexperte Grambow. Zudem müssten die ehrenamtlichen Helfer in diesem Fall penibel ein Fahrtenbuch führen, um gegenüber dem Finanzamt und dem Rentenversicherungsträger nachweisen zu können, dass die abgerechneten Fahrten tatsächlich erfolgt sind. Grambow: „Das will sich kein ehrenamtlicher Helfer antun.“

Veit Schiemann, Sprecher der Kriminalitätsopfer-Hilfsorganisation Weißer Ring, kommentiert das Gesetz mit Ironie: „Offenbar versucht das Bundesministerium für Arbeit hier mit Macht seinen Job zu erledigen und Tausende neue Arbeitsplätze bei den Rentenversicherungsträgern zur Kontrolle ehrenamtlich tätiger Frührentner zu schaffen.“ 3000 ehrenamtliche Mitstreiter, darunter zahlreiche Frührentner, sind für den Weißen Ring bei der Betreuung von Verbrechensopfern aktiv. „Sie führen stundenlange Gespräche mit Menschen, die vergewaltigt, misshandelt oder beraubt wurden, unterstützen sie bei Behördengängen, dem Ausfüllen von Formularen und Gerichtsverhandlungen“, erläutert Schiemann. Ein Engagement, das oftmals auch die Helfer an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit bringt.

Im Gegensatz zu anderen Vereinen zahlt der Weiße Ring seinen Helfern keine pauschale Aufwandsentschädigung, sondern rechnet mit ihnen die Kosten penibel ab, da sich der Verein allein aus Spendengeldern finanziert. „Die Opferbetreuer müssen auf einer Auslagenabrechnung genau angeben, wie viele Kilometer sie gefahren sind, welche Kosten für Telefon und Porto angefallen sind“, erläutert der Sprecher. Müssten die für den Weißen Ring aktiven Frührentner nun auch noch ein Fahrtenbuch führen, würde dies „einen erheblichen Mehraufwand bedeuten“, sagt Schiemann.

Den Urteilen des Sozialgerichts trägt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der Gesetzesänderung im Übrigen nur bedingt Rechnung. Denn ausgerechnet für Kommunalpolitiker haben von der Leyens Beamte eine Sonderregelung geschaffen. Zumindest bis September 2015 dürfen Frührentner in den Dorf-, Kreis- und Stadtparlamenten weiterhin Aufwandsentschädigungen kassieren, die oberhalb der Freibeträge liegen – ohne dass die Frührente gekürzt wird. Politische Hilfe scheint dem Staat offenbar wertvoller als andere Tätigkeiten.

Quelle: WELT ONLINE

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