Wer die Vereinsarbeit zukunftsfähig gestalten will, kommt nicht umhin, mit der Zeit zu gehen. Digitale Kommunikation nach innen und außen ist heute keine Option mehr, sondern ein Muss, will man neue engagierte Mitstreiter gewinnen. Von Mitgliederakquise bis Spendensammlung gibt es inzwischen eine Vielzahl großartiger Ideen, die Vereinen helfen, sich dem digitalen Lifestyle anzupassen und ihn aktiv für sich zu nutzen. Die Plattform letsact ist eine davon. Als „Tinder für das Ehrenamt“ macht das junge Team seit 2018 Furore und bringt gemeinnützige Projekte mit freiwilligen Helfern unkompliziert über eine App zusammen. Wir haben uns von Vereinsvorständin Lena Glemser Tipps für die digitale Vereinsarbeit geholt.
Lena, ihr seid ein junges Team und mit dem Smartphone aufgewachsen. Ist es für euch nachvollziehbar, dass viele Vereine noch immer ganz analog arbeiten?
„Tatsächlich habe ich meine Kindheit noch weitgehend ohne Smartphone erlebt und kann mich sehr gut erinnern, wie seltsam dann der erste Kontakt mit dem World Wide Web für mich war. Alles Neue ist erst einmal ungewohnt und damit auch beängstigend. Dass vor allem ältere Vereine oder Wohlfahrtsverbände eine gewisse Scheu haben, die etablierten analogen Prozesse zu digitalisieren, kann ich durchaus nachvollziehen. Hinzu kommt, dass viele Vereine rein ehrenamtlich geführt werden und es dadurch schwieriger sein kann, tiefgreifende Veränderungen anzustoßen. Fakt ist aber auch: Wir wissen gar nicht, was wir alles nicht wissen und wohin uns das bringen kann.“
Was genau meinst Du damit?
„Viele Vereine haben keine Vorstellung von den Möglichkeiten, die neue Tools für das Projektmanagement, die Kommunikation oder das Controlling mit sich bringen und welche Vorteile sie daraus ziehen könnten. Zudem erscheinen digitale Tools anfangs auch kostspielig. Das ändert sich aber schnell, wenn man den Nutzen abwägt. Beim Online-Fundraising erreicht man beispielsweise 100 Leute über TikTok oder Meta für 1,20 Euro. In analoger Form würden sich die Kosten für die auszusendenden Briefe auf circa 500 Euro belaufen. Digitale Spenderansprache und Spendenverwaltung lohnt sich also. Und da es unsere Aufgabe ist, mit den Spendergeldern so effizient wie möglich umzugehen, halte ich es für wichtig, aktuelle Vorgehensweisen immer wieder zu hinterfragen.“
Welche Chancen siehst Du in der Digitalisierung für das Ehrenamt und wo stoßen Computer, Cloud & Co. an ihre Grenzen?
„Zum einen lassen sich wiederkehrende, administrative Arbeitsabläufe durch cloudbasierte Anwendungen automatisieren. Der Verein kann mit den richtigen Tools also produktiver arbeiten. Digitale Angebote können aber auch neue Zielgruppen erschließen. Die Covid-Pandemie brachte einen wahren Digitalisierungsschub und mit ihm neue Möglichkeiten, sich ehrenamtlich einzubringen. Eine aktuelle Umfrage unter den letsact UserInnen hat ergeben, dass 76,1 Prozent der Freiwilligen bereit wären, sich remote zu engagieren. Sie wünschen sich Flexibilität auch im Ehrenamt, und die wird durch ortsunabhängiges digitales Engagement gewährleistet. Aber das ist noch nicht alles: NPOs können dank genauerer Zielgruppenanalysen ihre Spendeneinnahmen signifikant erhöhen. Grenzen setzen hingegen Datenschutz und Informationssicherheit, die aufgrund der wachsenden Komplexität oft nicht mehr ehrenamtlich verantwortet werden können.“
Ehrenamtliches Engagement ganz einfach per App – mit letsact trefft ihr absolut den digitalen Zeitgeist. Wie kam es damals zu der Idee?
„Wenn man sich sozial engagieren will, muss man einige Hürden überwinden: eine passende Organisation oder Initiative finden, dann häufig über mehrere Stellen Kontakt aufnehmen und schließlich einen Dschungel an Bürokratie durchqueren. Dieser Prozess ist größtenteils analog, langwierig und mühsam. Außerdem weiß man häufig gar nicht, welche tollen Projekte es in der unmittelbaren Nähe überhaupt gibt. So ging es unseren Gründern Paul Bäumler und Ludwig Petersen damals und wie ihnen 33 Prozent aller Menschen in Deutschland, die sich sozial engagieren wollten, aber nicht wussten wo und wie. Um das zu ändern und den Weg zum Ehrenamt einfach, unkompliziert und spaßig zu machen, haben die beiden dann letsact gegründet. Außerdem wollten wir zeigen, dass man nicht erst die Welt bereisen muss, um Gutes zu tun. Viele spannende Projekte warten direkt um die Ecke und mit letsact fördern wir das lokale Engagement.“
Was kann die App mittlerweile alles?
„Unsere Reise begann vor mittlerweile über fünf Jahren, in denen sich die App immer wieder neu geformt und verändert hat. Aktuell bekommen Volunteers, die sich registriert haben, basierend auf ihrem Standort und anderen Filtern passende Angebote aus der Umgebung zugespielt. Mit wenigen Klicks können sie sich dann genaustens über die Projekte informieren und bei Interesse direkt teilnehmen oder sich bewerben. In unserem Community-Feed führen wir einen informativen Blog, der auch zeigt, wo sich andere Freiwillige in letzter Zeit engagiert haben. Und wer nicht als Volunteer tätig sein möchte oder kann, hat über die App die Möglichkeit, sich stattdessen mit einer Spende für Projekte seiner Wahl einzusetzen. Natürlich ruhen wir uns nicht aus. Über Umfragen holen wir uns wichtiges Feedback von den Volunteers mit dem wir die App immer wieder anpassen und optimieren.“
Wie kann ein lokaler oder regionaler Verein die App konkret für sich nutzen und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
„Jede gemeinnützig eingetragene Organisation, mit demokratischen Grundwerten, kann sich in wenigen Schritten auf unserer Homepage registrieren. Damit erhält sie Zugang zum letsact Web Dashboard und kann dort eigene Engagements und Projekte hochladen oder Anfragen von Freiwilligen bearbeiten und verwalten. Neben der Vernetzung mit passenden Volunteers, stellen wir Vereine auch gern in unserem Newsletter oder der Social Media Community vor, um ihnen mehr Aufmerksamkeit und Reichweite zu geben.“
Wird ein Volunteer automatisch Mitglied im Verein, dessen Projekt er/sie unterstützt? Und falls nicht, wie sind Verein und Freiwillige in dem Fall rechtlich abgesichert?
„Nein, die jeweilige Vereinsmitgliedschaft wird in unseren Projektbeschreibungen nicht Kriterium für ein Engagement aufgeführt. Nach einem Match verläuft die Kommunikation aber unabhängig von uns zwischen Volunteers und Organisation. Wir wissen also nicht, ob, wann oder wie Volunteers zu Mitgliedern werden. Wenn es für alle Beteiligten passt – warum auch nicht?“
Habt Ihr ein paar Zahlen für uns? Wie viele Projekte zum Beispiel wurden mit tatkräftiger Unterstützung von „Letsactlern“ bislang umgesetzt?
„Aber klar: Bisher konnten wir über 140.000 Menschen von unserer Plattform überzeugen und zum Download animieren und mit ihrer Hilfe wurden über 20.000 Projekte vermittelt. Auf unserer Plattform sind aktuell über 2.000 Organisationen registriert.“
Letsact vermittelt personelle und finanzielle Ressourcen an gemeinnützige Organisationen – eine große Hilfe für viele Vereine, die mit sinkenden Mitgliederzahlen kämpfen. Gibt es noch weitere digitale Tools, die ihr für eine effiziente Vereinsarbeit empfehlen könnt?
„Ja, da gäbe es ein paar. Besonders hervorzuheben wären zum Beispiel Notion, Wonder, Slack, Miro und Goofle Suite. Wenn Vereine remote Strukturen haben, ist man mit diesen Tools für eine effektive Zusammenarbeit definitiv gut aufgestellt.“
Wie digital arbeitet ihr bei letsact? Seid ihr zum Beispiel papierlos?
„Ja, wir arbeiten in der Tat papierlos. Das letsact-Team verteilt sich über ganz Deutschland und darüber hinaus. Für unsere tägliche Kommunikation nutzen wir hauptsächlich Slack und Google Meets, für Dokumentation und Ablage Notion und Google Drive und für Strategieentwicklung und Zielplanungen meist das digitale Whiteboard Miro oder Mural. Der Großteil unserer Post wird über ein digitales Postfach übermittelt. Dafür nutzen wir Caya. Wir halten auch immer die Augen nach neuen Tools offen, um auch Prozesse für unserer UserInnen effizienter zu gestalten.“
Abgesehen vom digitalen Potenzial – welche Ziele hat sich der letsact für 2023 gesteckt?
„Manchmal braucht es ein paar Schritte zurück, um wieder vorwärts gehen zu können. Wir haben zuletzt viel Zeit investiert, uns und die Wirkung, die wir erzielen, zu hinterfragen. Deshalb ist eines unserer Hauptvorhaben in diesem Jahr, letsact nochmal neu zu denken. Unser Team arbeitet gerade an einer neuen Version der App, die deutlich schlanker, User-zentrierter und vor allem fokussierter auf die ursprüngliche letsact-Vision sein soll. Wir möchten den Registrierungsprozess erweitern, sodass durch die Angaben von Hard und Soft Skills Matches noch passgenauer für beide Seiten werden.“